Drei Schleier

Alles, was ich zum Iran weiß, was ich erlebt habe und wie ich an ihn denke, ist hinter drei Schleiern versteckt.

Da ist der Schleier der Flucht, der das Land unserer Herkunft in die Obhut der Anderen gegeben hat. Ist Flucht auch Abkehr von etwas oder jemandem? Verneinen von Verantwortung? Es ist seitdem auf jeden Fall nicht mehr wirklich ‚unser‘ Land, weil es irgendwann so wenig ‚unser‘ war, dass es nötig war, vor denen zu fliehen, die es zu ‚ihrem‘ machten. Unter genau diesem Schleier redet mein Vater mit mir, wenn wir durch Teheran fahren; er erzählt davon, wie die Straßen, wie die Leute vor der islamischen Republik aussahen, ich sehe die leeren Parks, den Smog und die mit den Gesichtern von Märtyrern verziehrten Häuserfassaden und stelle mir vor, dass wenn ich dieser Stadt die Haut abziehen würde, sich darunter das Teheran meines Vaters verbirgt, das nur darauf wartet, dass das wachsame Auge der Ayatollahs kurz wegschaut, um sich plötzlich kräftig zu schütteln und den dicken Film der letzten Jahre abzustreifen.

Seit 40 Jahren warten wir auf diesen Moment. Jede/r IranerIn der Diaspora steht den Repräsentanten unseres Landes mit Hass gegenüber, wie einem gewalttätigen neuen Liebhaber des ehemaligen Partners. Immer wieder gibt es Wellen, in denen der Zusammenbruch des Regimes plötzlich alternativlos scheint, in denen ein neuer Tiefstand erreicht wird, das Brüllen der Proteste unüberhörbar laut ist und wir in unserer Hoffnung anfangen zu träumen vom Potenzial dieses Stücks Erde: Von ausschweifenden Parties auf Teheraner Straßen, von europäischen TouristInnen, die im Norden Skifahren und im Süden am Strand liegen könnten, Mann und Frau nebeneinander. Von der massenhaften Rückkehr der Abermillionen ExiliranerInnen aus allen Ländern der Welt, von der Rückeroberung von dem, was wir vor 40 Jahren verloren.

Doch dann kommen die Videos, laute Schreie, blutverschmierte T-Shirts, weinende Mütter. Mit ihnen der Tod der Hoffnung und die Scham, dass der Wunsch nach einem anderen Iran für mich einen so anderen Stellenwert hat als für ihn, der dort auf der Trage liegt, dessen Familie ihn nun trägt und sich auf die Brust schlägt, weil darauffolgend für mich deutscher Alltag, für sie das Grauen, der Verlust und die Angst.

Der zweite Schleier ist die deutsche Draufsicht auf den Iran. Diese besteht zum einen aus der kolonialchauvinistischen Undifferenziertheit der Georegion gegenüber, wenn ich wieder jemandem erzählen muss, dass Iraner keine Araber sind und zum anderen aus den Bildern der Tagesthemen, in denen Flaggen verbrannt, Todesstrafen ausgesprochen und Israel das Existenzrecht aberkannt, wo im Kopf eine klar binäre Aufteilung passiert: Da schlecht, hier gut. Wie komme ich da dazwischen? Ja, natürlich lebe ich lieber in einer Demokratie, ich finde Demokratie supitoll, aber die Welt funktioniert nicht in Binaritäten, es gibt immer schlechtes im Guten und andersherum und jeder Mensch, der mal eine Woche in Teheran verbracht hat.

Genau das ist es. Die grundsätzliche Verteidigungshaltung, in die ich mich gezwungen fühle, das ist der zweite Schleier. Das permanente ‚eigentlich ist es da aber schon etwas schmutzig/unterentwickelt/problematisch‘, das den Grundtenor vieler Gesprächen mit Biodeutschen ausmacht, verunmöglicht mir jegliche Romantisierung, die es einer Heimat gegenüber doch aber braucht. Ich habe es satt, die Rolle des ‚wo ich herkomme nix gut‘ zu spielen, die vor allem MigrantInnen aus dem globalen Süden zugedacht wird. Es ist dem Menschen zueigen, dass er die ‚eigenen‘, heimischen Dinge irrational hochlobt, ich als HSV-Fan weiß wirklich wovon ich spreche.

Der dritte Schleier ist der Iran in Deutschland. Manchmal passiert es mir, dass ich hier Menschen begegne, die plötzlich meinen Namen besser aussprechen als ich selbst, da ist dann auf einmal Isfahan in Norderstedt. Wer hat gesagt, dass sich Ländergrenzen nur linear und auf Basis ihrer alten Grenzen verschieben dürfen? Was, wenn hier in Deutschland auf einmal Iran wäre? Ich erzähle Ihnen ein Geheimnis: er ist es längst. Versuchen Sie mal, um den 21. März herum in Hamburg oder Frankfurt eine Großraumlocation zu mieten – zwecklos. Wir haben uns diese schon Monate vorher angeeignet und pünktlich zu Frühlingsbeginn werden sie jetzt richtig schön iranisiert, denn es ist Nouruz, persisches Neujahr. Ich gehe ausnahmsweise mal nicht näher auf mein Lieblingsthema ein, wieviel sinnvoller es ist, den Beginn eines neuen Jahres auf Frühlingsanfang zu legen anstatt auf irgendeinen x-beliebigen Wintermonat, aber wie an Weihnachten verbringt man auch an Nouruz mehrere Tage mit der Familie und es gibt Geschenke. Weil die integrierwütigen Iraner natürlich auch Weihnachten feiern (wenn auch mit mordshässlichem Plastikbaum) werden DeutschiranerInnen also zweimal im Jahr beschenkt.

Persische Feste erkennt man als PassantIn an der shishabarähnlichen Parfumwolke, die einem beim Betreten des Wohnblocks in die Arme nimmt, links rechts und nochmal links küsst und in Richtung Tanzfläche zieht. CK one, Cartier, Bvlgari, Tommy Hilfiger – Douglas sollte am Eingang cay anbieten, wir wären für 90% ihres Umsatzes verantworlich. Es wird viel getanzt, ob man will oder nicht, man wird mehr oder weniger von einer Tante dazu genötigt und ist ihr nachher heimlich auch ein klein bisschen dankbar, weil sie einem die eigene Coolness aus dem Weg geräumt hat, wie es nur Tanten und Mütter können.
Spät am Abend kommt Haji Firouz. Ein geblackfaceder Mann in rotem Anzug, der Geschenke verteilt. Theoretisch trägt Haji Firouz kein blackface, sein Gesicht ist vom jahrelangen Rauch und Ruß schwarz geworden -Feuer spielt im Iran seit zoroastrischen Zeiten eine große Rolle- rein praktisch sieht das ganze aber stark nach blackface aus und so sehr es meine Almanfreunde auch probieren, sie schaffen es nicht wirklich, ihre Anspannung zu überspielen. German guilt?

Wenn dann irgendwann die Autos auf dem Hof dieser von außen so abstoßend hässlichen

Eventhäuser wieder angelassen werden, Fensterscheiben runterfahren, sich nochmal für die nächsten Tage verabredet wird während Kinder auf Rückbänken einschlafen, Fensterscheiben hochfahren und sich zu persischer Popmusik beim Fahren durch nächtliche Straßen dieses wohlige Nachpartygefühl einstellt, wer kann dann noch sagen, ob das hier gerade Iran oder Deutschland ist?

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Hakenkreuze unter Hemdärmeln

Ich sitze im ICE Hamburg-Berlin weil Flixbus coronabedingt nicht fährt. Der ICE hat eine andere Klientel als Flixbus, die Fahrgäste sind deutlich weißer, es riecht nach trübem Apfelsaft und Mittelstand.

Auf halber Strecke Fahrkartenkontrolle. Sollte man es nicht rechtzeitig auf Klo schaffen, um der Dame mit Kurzhaarfrisur (meistens heißt sie Corinna) zu entkommen, klappt es wie heute manchmal auch, sie solange vollzulabern und über das In-Bahn-Bezahlsystem (Es ist 2020 und die Bahn akzeptiert auch bei Preisen von 74,35€ nur Bargeld) auszufragen, dass sie vor lauter Aufregung vergisst nach der Karte zu fragen und weiterläuft.

Hinter mir wird jemand beim halb-Schwarzfahren erwischt, er hat sich mit einer fremden Bahncard 50 einen ‚Sonderpreis erschlichen‘, wie Corinna nicht müde wird ihm immer wieder zu erklären – Ihre Stimme bebt, es ist deutlich zu spüren, dass Corinna das Wohlergehen der Deutschen Bahn AG ein ganz persönliches Anliegen ist. Begrabt sie in Uniform.

Der Schwarzfahrer ist Immigrant. Ach verdammt, denke ich. Der Arme. Mein Vater hat mir immer eingeredet, dass Kanacken sich doppelt so gut benehmen müssen wie Deutsche, weil wir in den Augen der Deutschen direkt unseren gesamten Kulturkreis in den Dreck ziehen, wenn wir mal bei was erwischt werden. Ich habe ihm geschworen, keine Scheiße zu bauen, worauf er den Kopf schüttelte und lachte: ‚Quatsch! Einfach nicht erwischen lassen.‘

Der Bruder im Zug hat diesen Vortrag vielleicht nie bekommen, sein Deutsch ist auch etwas gebrochen, vielleicht weiß er gar nicht, was genau er falsch gemacht hat. ‚Personengebunden und daher nicht auf Fremde übertragbar‘ ist auch ein ganz schön sperriger Satz, könnte ich nicht auf französisch übersetzen und ich hatte Leistungskurs.

Plötzlich taucht ein Ungetüm von einem Polizisten auf. Er misst locker zwei Meter und muss im Krabbengang seitlich durch den Waggon tippeln, damit sein Schlagstock auf der einen und die Pistole auf der anderen Seite den unschuldigen Mittelschichtsalmans auf den Gangsitzen nicht ins Gesicht klatschen, was ich natürlich extrem gerne sehen würde: Wir spüren ja bei den Corona-Demonstrationen, was passiert, wenn man der weißen Mittelschicht auch nur verbietet, zwei Monate lang mit den Jungs in der Kneipe Fußi zu glotzen.

Ich stelle mir vor, wie die Dienstwaffe eine Mittvierzigerin leicht am Kinn streift und diese daraufhin zuerst schreiend in sich zusammenbricht, um dann mit Feuer in ihren Augen sämtliche Artikel des BGB in das Gesicht des heillos überforderten Polizistenogers zu brettern, bis dieser vor lauter Hilflosigkeit mitten im Waggon anfängt zu heulen, was wiederum einen Sonderalarm im Dezernat auslöst, weshalb Sekunden später ein GSG Sondereinsatzkommando in einem Helikopter über dem ICE erscheint und den Polizisten (da er eine menschliche Regung gezeigt hat) per Kopfschuss aus dem Verkehr zieht. Leider geschieht nichts von alledem, die Pistole bekommt heute keinen Menschenkontakt und ein paar Minuten später wird der Schwarzfahrer abgeführt.

Hinter mir beginnen zwei Männer mittleren Alters in Hemden laut über das gerade Geschehene zu sprechen. Sie sind beide Typ Manager, da wir aber in der zweiten Klasse sitzen, können sie nicht allzu erfolgreich sein, das ist schließlich das höchste Zeichen der Anerkennung von geleisteter Arbeit in der Bundesrepublik: Die Fahrt in der ersten Klasse. Der Privatjet des kleinen Mannes.

Sie fangen laut an, darüber zu reden, dass wir in Deutschland langsam ‚französische Verhältnisse‘ bekämen und dass der Staat diese ganzen ‚Fremdvölker‘ nicht mehr unter Kontrolle hat.

Keiner sagt etwas.

Sie sprechen darüber, dass es für ‚die‘ wohl normal ist und dass ‚die‘ bei sich ja nichtmal ne Bahn hätten.

Niemand spricht auch nur ein einziges Wort.

Sie stimmen sich gegenseitig zu, dass genau das auch der Grund dafür ist, dass ‚überall da in Afrika und Arabien nur Chaos, Sodom und Gomorrha herrscht‘

Ich drehe mich um, schaue den Lauteren der beiden an, räuspere mich und bitte ihn darum, seinen Mund zu halten. Ganz ruhig, immer mit Augenkontakt, sage ich ihm, dass er seine rassistische Scheiße entweder für sich behalten oder seine Frau damit belästigen soll, aber hier drin hat er gefälligst ruhig zu sein. Ich brodle vor Wut, aber wenn ich jetzt ausraste oder ihm zeige, wie sehr mich sein Gelaber aufregt, hat er gewonnen. Er ist etwas baff, nörgelt mir dann irgendwas entgegen, wer ich denn sei und wer mir das Recht gibt blabla. Ich sage ihm ein letztes Mal, dass es jetzt reicht und drehe mich wieder um.

In meinem Kopf rauscht es. Warum sagt hier sonst keiner was? Warum halten hier gerade alle um mich herum schön die Fresse und glotzen in ihre Kindles? Hat sich Rasssismus inzwischen so sehr zu einem Teil der Normalität gemacht, dass sich diese zwei Wichser nicht mal schämen, ihrem geistigen Durchfall in der Öffentlichkeit freien Lauf zu lassen? Und wo zum Teufel ist die Polizei jetzt? Wo sind die Nachrichten in den Familienchats? Die weiße Mehrheitsgesellschaft hat keine Ahnung von Repression, deshalb geht sie auf einmal auf die Barrikaden, nur weil sie im Camp David Laden Mundschutz tragen müssen. Es muss ihr grundlegend an Empathie fehlen, weil die Existenz von Unterdrückung von Minderheiten in Deutschland anscheinend so weit außerhalb ihres Vorstellungsbereichs liegt, dass sie selbst dann ihr Maul nicht aufmachen, wenn exakt diese Repression genau vor ihnen Augen stattfindet, wenige Zentimeter entfernt.
Dass es sich hier um genau dasselbe Gedankengut handelt, dass die AfD zur drittstärksten Kraft gemacht hat und seit 1990 über 200 Menschen in Deutschland das Leben gekostet hat, scheint für viele eine zu große Denkleistung zu sein und ein Rassist ist wohl erst dann wirklich ein Rassist, wenn er mit Hakenkreuz-Tattoo, Deutschlandtrikot und brenndem Molotowcocktail vor’m Flüchtlingsheim erwischt wird und dabei laut die erste Strophe der Nationalhymne singt.