
Arbeitsschutz

Monsunzeit auf Borneo

Nördlichster Punkt Malaysias
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Monsunzeit auf Borneo
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Seit Kurzem habe ich das Glück, Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ studieren zu dürfen. Der Zulassung ist ein ausgedehntes Bewerbungsverfahren vorgestellt, in der ersten Runde mussten drei kreative Fragen beantwortet werden.
Aufgabe A:
„Über welches Ereignis in Ihrer Gegenwart sind sie erstaunt?“
Vielleicht interessiert dendie eine/n oder andere/n ja meine Antwort. Trommelwirbel!
Das Ereignis, das mich in meinem persönlichen Umfeld wohl am meisten verwundert und erstaunt hat, war die Entscheidung meines Vaters nach 25 Jahren in Deutschland die Zelte abzubrechen und in den Iran zurückzuziehen.
Mein Vater war ein Paradebeispiel für den „integrierten Ausländer“: abgeschlossenes Studium (Diplomingenieur), Deutschkenntnisse fließend in Schrift und Sprache, selbst eine leichte Religionsaversion inklusive einer Schwäche für Salami hätten meinen Vater seinerzeit zumindest eine Nominierung als ‚Deutscher des Monats‘ einbringen können. Wie jeder gute Iraner schimpfte er auf die Regierung und hatte seine eigenen Verschwörungstheorien zum Nahost- bzw Weltkonflikt. Mein Onkel winkte bei den Erklärungen meines Vaters immer ab mit den Worten „ein Iraner ohne Verschwörungstheorien ist kein Iraner“. Vielleicht hat er Recht. Meine Eltern haben sich früh geschieden, mein Vater ein zweites Mal geheiratet. Ich habe zwei kleine Halbbrüder. Einmal in der Woche war ich bei meinem Vater, wir fuhren meist ziellos mit dem Auto umher, während er über Gott und die Welt philosophierte und ich aus dem Fenster guckte, ab und an zustimmende Geräusche machte und Modern Talking -seine Lieblingsband- ertrug. Erst als ich älter wurde, wurde aus den Lektionen eine Art Dialog, wenn auch mit klar begrenzten hierachischen Strukturen und Redeanteilen. Diese Unterredungen hatten einige wiederkehrende Elemente: 1. Harte Arbeit zahlt sich aus. 2. Respektiere diejenigen, die dir nahestehen. 3. Werde Arzt. Er selbst hatte sich damals fälschlicherweise für das Ingenieursstudium entschieden und wollte seinen Söhnen den eigenen Kummer ersparen.
Wenn ich beim zuhören abzudriften drohte, holte mein Vater sein Ass aus dem Ärmel um meine Aufmerksamkeit zurückzubekommen. Er sprach dann über ‚die Deutschen‘ oder wahlweise ‚die Kartoffeln‘, wenn er seine Wortwahl als Frustventil nutzen wollte. Er erzählte in warnenden Beispielen von eben jenen Eingeborenen, in deren Land er zwar lebte und arbeitete, deren Eigenheiten im Umgang miteinander er aber nie zu hundert Prozent verstand. Ein kleinliches, penibles, kaltes Land habe sich seine Familie zum Exil gemacht.
Vielleicht hätte ich den Wink mit dem Zaunpfahl früher erkennen können. Mein Vater war unglücklich in Deutschland. Aber war das nicht jeder? Beschweren wir uns nicht alle in einem Fort über Politik, Wetter, Menschen in diesem Land? Doch, Natürlich. Und zurecht. Aber das alleine reicht nicht.
Mein Vater war von einem anderen Geist geplagt. Zwar wohnte er in einer deutschen Wohnung, schaute deutsches Fernsehen, fuhr ein deutsches Auto und arbeitete in einer deutschen Firma, aber sein Duktus, sein Hautton sowie die gelegentlich falsche Artikel- oder Fallwahl beim Sprechen verrieten ihn als Andersartigen. Es waren nur Nuancen, vielleicht war die Deutschifizierung meines Vaters bei 95% angekommen, aber der Ladebalken bewegte sich seit Jahren nicht vorwärts. Er verzweifelte an den letzten fünf.
Es kam immer öfter zu Autogesprächen, in denen sich die Inhalte verschoben. Häufiger fragte mein Vater mich jetzt leicht verschachtelt über meinen Entwicklungsstand aus. Er betonte oft mein Alter und die nahende Volljährigkeit und zeigte sich stolz über meine Fortschritte. Ungewöhnlich. Der zweite Wink.
Kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag stellte mein Vater mich vor vollendete Tatsachen. Er, seine Frau und meine Brüder würden nach Teheran ziehen. Er würde dort eine Firma gründen und irgendwann, wenn das angehäufte Geld reiche, nach Amerika schielen. In Amerika, sagte er, würden die Menschen sich nicht nach zwei Generationen im Land immer noch selbst als ‚Ausländer‘ bezeichnen. Dort drüben seien alle einfach ‚Amerikaner‘. Und mit etwas Glück, ginge mein Vater vielleicht als Puerto Ricaner durch.
Er ist wenige Monate später umgezogen und wirkt heute befreiter und glücklicher. Und das paradoxerweise an einem Ort, dessen Regime durch Todesstrafen und martialische Justiz Respekt von seinen Bürgern verlangt.
Jedes Mal, wenn ich ihn besuche, bringe ich ihm Salami mit.